Zwischen Hammer und Amboss – Agile Organisationen und die Rolle des mittleren Managements

Warum agile Organisationen relevant sind

Agile Organisationen sind en vogue. Laut einer Studie von CA-Technologies sind sich drei Viertel der befragten Top-Führungskräfte sicher, dass Agilität eine Schlüsselrolle für erfolgreiche Innovationsprojekte spielt. Im Teilnehmerfeld zeigt sich klar, dass agile Organisationen schneller und besser entscheiden und sich schneller an neue Kundenanforderungen anpassen. „Agile Masters“, also die agilsten Organisationen, haben ein deutlich höheres Umsatz- und Gewinnwachstum.

 

Andere Umfragen zeigen, dass in Entwicklungsprojekten „agile“ die neue Norm ist. Dies gilt heute für die USA und in Zukunft auch für Deutschland. Beispiele von digitalen Superstars wie Spotify oder das Comeback von Microsoft durch „agile at Scale“ überzeugen auch konservative Entscheider davon, dass Agilität nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern aus wirtschaftlicher Rationalität vorangetrieben werden sollte.

 

Agilität ist ein regelrechter Hype in Deutschland. Auch wenn das Buzzword „agile“ vielleicht bald verbrannt ist, werden die Prinzipien nach und nach in die unternehmerische Praxis durchsickern. Selbst für Unternehmen, die nicht im Silicon Valley, sondern in der Uckermark oder auf der schwäbischen Alp residieren.

Widerstand gegen agile Organisationen

Trotzdem kennt jeder Organisationsentwickler garantiert Beispiele von Menschen, die sich vehement dagegen sträuben, Teil einer agilen Organisation zu sein.

 

Beim Kaffeeklatsch auf Digitalisierungskongressen ist der personifizierte Widerstand gegen Digitalisierung im Unternehmen schnell ausgemacht: Das Klischee des sechzigjährigen Monteurs, der zu Hause kein eigenes Smartphone benutzt. Wir machen aber bei Veränderungsprojekten oft die Erfahrung, dass sich Teile des mittleren Managements unabhängig vom Alter gegen eine agile Transformation sperren. Der Grund liegt auf der Hand: In agilen Organisationen gibt es weniger herausgehobene Positionen für Manager[D. In selbstführenden Teams übernehmen Mitarbeiter eigenständig Teile der Aufgaben von Führungskräften.

 

Auch aus anderen Gründen wird die Luft in der Business Class aktuell dünner: Status- und Budgetberichte können immer schneller erstellt werden, weil moderne Tools für Business Intelligence die Arbeit deutlich vereinfachen und teilweise automatisieren. Unternehmen setzen verstärkt auf kontinuierliches Feedback und schaffen die traditionellen Prozesse zur Mitarbeiterbewertung ab.

Warum agile Transformation eine Chance für Manager bietet

Auf den ersten Blick könnte das der Anlass für eine Moll-Stimmung sein, auf den zweiten Blick vielleicht Anlass für einen persönlichen Kurswechsel mit positivem Ausgang. Die Position zwischen Hammer und Amboss ist nicht besonders komfortabel. Entscheidungen des Top Managements durchzureichen ohne eigenen Gestaltungspielraum zu haben, ist selten die Erfüllung aller beruflichen Träume.

 

Häufig wird verlangt, Strategie und Veränderungen an die Mitarbeiter zu verkaufen, anstatt sie gemeinsam mit dem Top-Management zu entwickeln. Wertschätzung durch die Top-Führungskräfte ist auch keine Selbstverständlichkeit. Regelmäßig sieht die Unternehmensführung das mittlere Management als Hürde für Veränderungen, nicht als Treiber der Transformation.

 

Auch von den eigenen Mitarbeitern wird Druck aufgebaut. Hier ein Beispiel: Mitarbeiter an der Basis wissen häufig viel genauer, wie Prozesse verbessert werden können. Ihr erster Ansprechpartner ist der direkte Vorgesetzte, der diese Informationen verdichten und nach oben tragen muss. Häufig genug werden solche Initiativen zurückgewiesen, weil das Top Management anders priorisiert. Von unten werden mittlere Führungskräfte unter Druck gesetzt, die Interessen ihrer Teams „weiter oben“ besser durchzusetzen.

 

Zwischen dem von oben nach unten weitergegebenem Druck und dem Gegendruck der Mitarbeiter aufgerieben zu werden, ist nicht das, was man sich vor der Beförderung vorgestellt hat.

 

Viele Berufseinsteiger sind ambitioniert und wollen Karriere machen, aber sie sind genauso idealistisch und wollen die Lebenszeit, die sie ihrem Arbeitgeber verkaufen, sinnstiftend einsetzen.

 

Jahre später sind sie assimiliert und steuern Unternehmen teilweise zynisch auf den eigenen Vorteil hin. Aber wir haben in Projekten auch beobachtet, wie hartgesottene Führungskräfte auf einmal Feuer und Flamme werden, wenn sie in Entwicklungsprojekten an neuen Lösungen basteln.

 

Konventionelle Führungsjobs sind also nicht so erfüllend, wie sie von unten aussehen. Die Perspektive ist durch verschiedene Trends düster. Eigentlich würden viele Chefinnen und Chefs ihren Tag lieber anders verbringen.

Der Zauber von Führungsrollen in agilen Organisationen

Die neuen Führungsrollen in agilen Organisationen sind bei näherer Betrachtung verlockend:

1.      Der Anteil an kreativer Tätigkeit steigt, während der Anteil von rein administrativer Arbeit abnimmt.

 

2.      Die Führungskräfte sind wieder Teil des Teams. Mitarbeiter kommunizieren wieder offener und direkter mit ihnen. Sie erhalten mehr Resonanz und werden „Teil der Herde“ anstatt „einsamer Wolf“ zu bleiben.

 

3.      Die Kommunikation mit anderen Führungsrollen ist stärker daran ausgerichtet, Wissen zu synchronisieren, anstatt um Status und Ressourcen zu kämpfen.

 

4.      In agilen Organisationen werden operative Führungskräfte in strategische Prozesse eingebunden. Sie müssen Vision und Arbeitsprinzipien im Alltag vertreten, die von allen gemeinsam erarbeitet wurden. Dadurch sind sie eher Coaches als Kontrollinstanz.

 

5.      Agile Organisationen institutionalisieren in Retrospektiven ein kontinuierliches 360-Grad-Feedback. Dadurch erhalten Führungskräfte ehrliche Rückmeldung und die Chance, persönlich stärker zu wachsen.

Wie Agilität der Karriere hilft

Zwei weitere Argumente sprechen dafür, allein mit Blick auf die eigene Karriere jetzt den Wandel einzuleiten: Erstens sind Führungskräfte mit Veränderungsbereitschaft zufriedener und verdienen mehr. [1] Zweitens kommt Sicherheit in unsicheren Zeiten aus der Anstellbarkeit, nicht aus der aktuellen Anstellung.  Der digitalen Transformation sind schon einige „sichere Arbeitgeber“ zum Opfer gefallen. Für die meisten Unternehmen besteht, nicht die Garantie, dass sie in Zukunft noch die gleiche Anzahl an Menschen beschäftigen. Sie können schon gar nicht garantieren, dass sie Menschen mit den gleichen Kompetenzen wie heute beschäftigen. Um anstellbar zu bleiben, müssen Arbeitnehmer signalisieren, dass sie sich den Veränderungen anpassen [2]. Sie müssen mindestens nachweisen, dass sie digitale Kompetenzen angewendet haben. Im Idealfall weisen sie nach, dass sie als früher Anwender von agilen Prinzipien die Änderung im Unternehmen vorangetrieben haben.

 

Die bisherigen Manager haben die Chance, sich vom Druckventil zum Bindeglied zwischen Menschen und zwischen verschiedenen Themen zu wandeln. Sie erhalten mehr Resonanz und werden aktiver Teil von kreativen Prozessen, anstatt nur ungeliebter Schiedsrichter zu sein. Studien belegen eine höher Arbeitszufriedenheit sowohl für „normale“ Teammitglieder als auch für die neuen Führungsrollen in agilen Organisationen.

Emotionale Widerstände gegen Veränderungen

An der Schnittstelle von Psychologie, Mikroökonomie und Neurowissenschaften zeigt sich eine weitere Hürde, die nicht durch Sachargumente zu entkräften ist: Viele Menschen bevorzugen bei gravierenden Entscheidungen den gewohnten Schrecken gegenüber dem ungewohnten Glück. Negative Erfahrungen brennen sich stärker ins Gedächtnis als positive. Das betrifft nicht nur verändertes Verhalten bei bestehenden Tätigkeiten, sondern ebenso die Angst den Job zu wechseln, auch wenn der jetzige furchtbar ist.

tl;dr: Führungskräfte in hierarchischen Organisationen haben mehr vom Leben, wenn Sie agilen Wandel als Vorreiter vorantreiben.

Artikel für mehr Tiefgang

1. „Embracing agile“ von Rigby, Sutherland und Takeuchi in der Harvard Business Review.

 

2. „The state of agile” Umfrage von CollabNet | VersionOne.

 

3. “Survey Data Shows That Many Companies Are Still Not Truly Agile” von Panditi.

 

4. “Muddle in the middle: organizational restructuring and middle management careers” von Newell und Dobson.

 

5. “Managerial Coping With Organizational Change: A Dispositional Perspective” von Judge, Thoresen und Freunden.

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